Der grössere Teil der Burgen - wenigstens in Graubünden und der umgebenden Nachbarschaft - wurde in der Periode, die mit dem 10./11. Jahrhundert begann, gebaut, meist im Anschluss oder als Ableger alter Fronhöfe, und zwar im Bestreben, einen festen Sitz an leicht zu verteidigender Stelle zu schaffen. In der Regel wird der Anfang ein Turm oder turmartiger Bau primitivster Form gewesen sein, der aber der noch höchst einfachen Lebensweise genügte. - Übrigens sind nach Ende des 14. Jahrhunderts überhaupt keine neuen Burgen mehr angelegt worden - damit nicht zu verwechseln sind rein militärische Verteidigungsanlagen. Anfangs des 15. Jahrhunderts begann vielmehr schon die Zeit, in der manche Burg verlassen wurde und zerfiel, so dass die Bautätigkeit auf diesem Gebiet sich auf die Wiederherstellung von in den zahlreichen Fehden zerstörten Sitzen oder auf den reicheren Ausbau vorhandener Sitze beschränkte.
Aber in diesen Jahrhunderten müssen die Ansprüche an die Lebenshaltung bald gestiegen sein, durch modernere Anbauten an den Türmen komfortablere Räume zu schaffen. Der Turm wurde zum Bergfrit, und der Anbau zum Palas. Dass gleichzeitig ein grösserer Umkreis durch Mauern abgeschlossen wurde, welche die Erstellung gesicherter Zugänge und der in grösserem Ausmass erforderlichen Nebenräume, Ställe, Magazine, auch Kapellen ermöglichten, erscheint als logische Folge der Entwicklung.
Die Anstellung freier Arbeiter kam in den ersten Zeiten schon deshalb nicht in Frage, weil das Wirtschaftsleben noch so in der Naturalwirtschaft steckte, dass Lohnzahlungen in Geld in grösserem Umfang gar nicht in Betracht kamen. Gegen Ende der Feudalzeit änderte sich dies weitgehend, so dass schon vielfach die Zehnten in Geld berechnet und bezahlt wurden. In dieser Periode konnten die Herren dann auch ihren Aufwand in Geld bestreiten.
Im Volksmund werden die Burgen vielfach mit dem Raubritterwesen in Verbindung gebracht. Für Graubünden ist dies in diesem Sinne nicht zutreffend. Jedenfalls finden sich keine Nachrichten, aus denen man auf eigentliches Raubritterwesen schliessen könnte.
Die Anfänge
Ortenstein muss von Anfang an in Verbindung mit dem karolingischen Königshof Tomils gestanden haben, welcher angeblich im 10. Jahrhundert, als der Kaiser das Bistum wieder in seiner Machtstellung befestigte, von ihm dem Bistum geschenkt worden ist. Somit hätte dieser Hof schon von früher her bestanden, was sehr glaubwürdig erscheint, wenn man bedenkt, dass das Domleschg damals schon zu den fruchtbarsten Teilen dieser Alpengegend gehört haben muss und wohl auch schon in der Römerzeit verhältnismässig dicht besiedelt war.
Die erste urkundliche Erwähnung von Ortenstein stammt aus dem Jahr 1309. Wir wissen heute, dass der Turm seit ungefähr 1269 (spätestens im Jahr 1275) ganz isoliert als typischer Wohnturm auf dem Felsen gestanden haben muss, wie es ja noch manch andere solche im Lande gibt.
Umfangreiche Spuren von einem grossen Rauchfang (Kaminschoss) und Russablagerungen an Wänden und Decke im 5. Stockwerk lassen bestimmt darauf schliessen, dass der Raum als Küche diente, die während längerer Zeit betrieben worden sein muss. Zweifellos war auch hier, wie bei anderen ähnlichen Türmen, der Eingang von aussen erst im 2. Stockwerk, wo man ihn mittels Holztreppen oder Leitern erreichte. Der jetzt vorhandene Parterreeingang des Turmes stammt aus dem 16. Jahrhundert, als das Schloss gleichzeitig der Lokalverwaltung gedient haben dürfte, welche die untersten Lokale als Gefängnis, Archiv oder Magazin genutzt haben wird.
Wie weit die erste Etappe der baulichen Entwicklung unter Donat von Vaz gegangen ist, lässt sich nicht mehr feststellen. Auch haben wir keinerlei Anhaltspunkte, wie es unter seinen Nachfolgern weiterging, zumindest bis zum Jahr 1452, in dem - oder bald darauf - der Wiederaufbau des von den aufständischen Bauern niedergebrannten Teils des Schlosses anhand genommen wurde. Fest steht, dass der Mittelturm vom Brand nicht beschädigt worden sein kann, so dass lediglich Anbauten Opfer des Feuers wurden. Im Parterre des Osttraktes sind heute noch Brandspuren, die auf jene Zeit zurückgeführt werden müssen, sichtbar.
Die 'Neuzeit'
Am 4. April 1528 trat die Gemeinde ihrerseits Schloss und Burgstall Ortenstein käuflich an Victor Büchler und seine Frau Appolonia ab. Die andere Hälfte der übernommenen Güter verkaufte die Gemeinde 1530 an Luzi Tscharner, den Stammvater der Churer und Berner von Tscharner. Durch diese Transaktionen war die Feudalherrschaft aufgelöst, soweit die staatsrechtlichen Belange in Frage standen, während die ökonomischen Rechte und Pflichten unangetastet blieben.
Mit Büchler beginnt in Ortenstein die 'Neuzeit', das heisst die Ära des Privatbesitzes, obwohl das Schloss, wie es den Anschein hat, noch lange der Gerichtsverwaltung mitgedient haben mag. Es ist dies die Periode der Dynastie Travers, welche Zeiten grossen Aufstiegs und schliesslich einen traurigen Niedergang erlebt hat. Ortenstein gehörte ihr, nach kurzem Condominium mit dritten Interessenten, von 1530 bis 1848. Während diesen drei Jahrhunderten erfuhr das Schloss Ortenstein wichtige bauliche Modernisierungen: den Bau des Westflügels, die Anlegung des Parkes mit einem Garten in französischem Stil.
Zwischen 1848 und 1860 drohte Ortenstein komplett dem Ruin zu verfallen; auch Pater Theodosius Florentini vermochte mit seinem Waisenhausprojekt diesen Niedergang nicht zu verhindern.
1860 kaufte Wolfgang von Juvalta das ganze Gut und sanierte den gesamten Komplex in umfassender Weise. Auch innenarchitektonisch prägte er das durch die Gläubiger der Dynastie Travers entleerte Gebäude. Nach seinem frühen Tod setzte seine Tochter Meta mit viel Geschmack diese Arbeiten fort.
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts erstrahlt Schloss Ortenstein bis heute in unveränderter Form.